Michael Glantschnig: Als Schauspieler brauchst Du eine dicke Haut!
MAENNERSTYLE: Lieber Michael, ich bin ein großer Fan von Andy Warhol: vielleicht fange ich nicht wie er mit der Frage nach Deinem letzten Sexpartner an, dennoch würde es mich freuen, wenn dieses Interview so auf Assoziationen beruhte, dass es auch unter Freunden hätte stattfinden können. Maren weiß, dass ich diese Art von Interviews zu führen pflege, selbstverständlich halten wir uns trotzdem an einen Rahmen, der Dir und auch MAENNERSTYLE.COM gerecht wird. MICHAEL GLANTSCHNIG: Klar, können wir gerne machen, ich hoffe, wir bekommen das gut hin, hier über Skype. Freundschaftsmäßig ist es natürlich immer besser, wenn man sich gegenüber sitzt! Gibt es dennoch eine Frage, mit der Du einsteigen möchtest?
MS: Einsteigen möchte ich bei Adam und Eva und bei Dir: Du hast vor vier/fünf Jahren in München angefangen, Schauspiel zu studieren. Wie kam das? War das ein Wunsch, den Du schon lange hattest? MG: Also bei mir war das so, dass ich schon während meiner Schulzeit und im Teenie Alter in einem Jugend-Theater-Klub war und nebenbei hab ich auch im Stadttheater Klagenfurt, kleinere Rollen, Statisten, Komparsen, alles mögliche, angenommen. Ich wollte schon immer Schauspieler werden und durch die kleinen Theaterrollen habe ich Schauspieler kennengelernt, die hab ich gefragt, wie man beruflich am besten einsteigt. Ich kam aus einer Kleinstadt, wo weder gedreht noch großartig gefilmt wird, die Schauspieler haben mir also von den staatlichen Schauspielschulen erzählt, davon gibt's etwa 18 im deutschsprachigen Raum. In den meisten Fällen wird einem auch empfohlen, auf eine staatliche Schule zu gehen, da die privaten für das was sie kosten, nicht so viel bieten wie eine Staatliche. Jedesnfalls bin ich nach meinem Abi auf Bewerbungstour gegangen, wurde dann in München genommen und das war so der Weg.
MS: Also war das für Dich fast schon so eine Art »Dream-Come-True«, ne? MG: Genau, so in etwa, ja!
MS: Keine spontane Idee! Warst Du von Anfang an auch eher als Schauspieler im Theater unterwegs? MG: Ja, ich war anfangs viel mehr im Theater, ich bin dann erst während meiner Ausbildung auf Film gekommen; Film fand ich schon immer toll, ich wollte auch immer zum Film, aber meine Ausbildung und meine Jugendjahre waren alle am Theater, ich hatte mit Film noch keine Erfahrungen. Mir ging's immer so, ich sah diese unglaublichen Charaktere auf der Leinwand und ich wusste, das möchte ich auch machen, aber dahin zu kommen scheint erst mal noch unmöglich. Dazu liefert das Theater einfach die Basics. Während meiner Ausbildung hab ich dann mal einenn Kurzfilm gedreht, von da an bin ich dann mehr in die Schiene gerutscht. Dennoch würde ich gerne wieder Theater spielen!
MS: Was kannst Du zu den Unterschieden zwischen Theater und Film sagen? MG: Der Unterschied zwischen Schauspiel im Theater und im Film: das sind zwei Welten! Was am Theater sehr schön ist, ist dass Du mal zwei Stunden durchspielen kannst. Du musst nicht wie im Film immer wieder unterbrechen und kleine Passagen oft wiederholen. Du hast ein Stück und das rockst Du mit deinem Team durch. Dein Charakter kann eine krasse Wandlung machen, die Energie auf der Bühne ist atemraubend und du bist einfach mehr in diesem Moment da. Gleichzeitig hast Du das Publikum vor Dir, das Dir auch Feedback gibt, also das mit Dir mitschwingt, das spürt man, wenn man auf der Bühne steht, dieser Live-Moment hat einfach was. Man kann auch viel mehr ausflippen, im Theater sind natürlich krasse Figuren möglich, die im normalen Leben niemals existieren würden, abstrakte Formen, da kommt man auf ganz andere Ebenen. Ist auch ganz schön, so auszuflippen. Der Nachteil im Theaterbetrieb, und da sprech ich aus meinen eigenen Erfahrungen ist, dass Du im Theaterbereich nicht so gleichgültig bist, wie im Film. Oft hatte ich das Gefühl, dass der Regisseur weit über mir steht und meine Ideen nur zählen, wenn sie Seinen nicht widersprechen. Ich hatte zu gehorchen, der Austausch war nicht wirklich vorhanden. Im Film ist es oft so, dass ich mich dann mit dem Regisseur zusammen setze und wir über die Rolle reden, bis beide am Ende d'accord sind. Kevin Spacey hat gesagt: »Good acting serves good writing«, das stimmt, denn als Schauspieler bedienst Du den Text, das stimmt schon, aber ich finde, dass diese Dienerfunktion im Theater sehr stark spürbar ist, das lassen viele Regisseure sehr stark raus. Und wenn Du dann in einer Produktion bist im Theater, die echt scheiße läuft, wo das komplette Ensemble oben steht und weiß, wir machen da gerade den Bullshit, den sich ein Regisseur ausgedacht hat und das macht uns allen keinen Spaß, dann bist dennoch Du als Schauspieler am Ende derjenige, der das vertreten muss. Der Regisseur hat das letzte Wort und wenn du es nicht genau so machst fliegst du, witzig wird es dann wenn Du dann noch dreißig Vorstellungen davon spielen musst, oder sogar mehr! Im Film ist das dann häufiger so, dass wenn Du ein Filmprojekt hast und es läuft nicht gut, drehst du es einmal und bist fertig. Ab in die Tonne, was kommt als nächstes. Also die Art und Weise, wie ein Schauspieler funktioniert, finde ich im Film angenehmer, aber was ich am Film auch so mag, deswegen zieht es mich auch mehr dahin, ist, dass die Charaktere und Figuren realistischer dargestellt werden. Auch wenn im Film natürlich viele Tricks und Effekte dazukommen. Aber dadurch, dass die Kamera so »close« ist, kann sie auch Momente einfangen, die Du auf der Bühne nie wahrnehmen würdest, da musste immer einen Ticken größer spielen. Vor der Kamera ist so viel mit den Augen möglich, man sieht direkt in die Innenwelt eines Charakters. Das würde ein Zuschauer im Theater nicht sehen, vielleicht in der ersten Reihe, nach der 3. aber spätestens niemand mehr. Das liebe ich am Film so, dass Du mit Gedanken und mit Augen auch so viel machen kannst. Die Vorbereitungszeit genieße ich auch sehr, wenn ich mich in Ruhe allein vorbereiten kann. Im Theater probst Du ja gemeinsam, was auch 'ne schöne Situation ist, da mehr gemeinsam entsteht. Filmrollen liebe ich so sehr, da ich mich auf jede Rolle anders vorbereite, das ist immer wieder was Neues, und das liebe ich. Du kommst dann mit Deinem Paket hin, hast deine Sachen und sagst das biete ich Dir jetzt an, und dann sagt der Regisseur okay, das ist gut so, versuch da noch was, das oder so, dann muss das auch gleich funktionieren, Du musst sehr gut vorbereitet sein. Im Theater ist das so, dass Du kommst und erstmal gar keinen Text hast, und dann probiert man in der Probephase. Kann auch sein, dass, wie gesagt, der Regisseur von Anfang an diktiert, das muss so sein, das so, kann sein, dass er sagt, Deine Figur schreit jeden Text, den sie hat, und Du denkst WTF, warum? Warum sollte ich immer schreien, oder mit einer hohen Piepsstimme sprechen, der kann dann teilweise gar nicht mal begründen warum, der sagt dann, das ist die Form und er will eine Energie in der Stimme haben und die soll sich äußern, und da stehste dann da als Schauspieler und denkst dir ok…. Im Theater musste versuchen den realistischen Mechanismus in deinem Kopf auszuschalten. Begründen musst du es für dich dennoch irgendwie können, auch wenn es dir unrealistisch scheint. Das ist sehr tricky! Im Film ist das genau das Gegenteil, wenn ich sag: Warum agiert meine Figur in der Situation so, das erscheint mir nicht logisch, dann muss der Regisseur mir das erklären können, sonst funktioniert es nicht, das war bisher bei jedem meiner Projekte so; er hat es mir dann erklären können. Und wenn er es nicht erklären konnte, dann kam: »Okay, wie würdest Du in der Situation reagieren?« Was natürlich anstrengend und nervig ist im Film, ist das ständige Wiederholen. Du musst alles wiederholen können, aber gleichzeitig muss es so wirken, als würdest Du es zum ersten Mal machen. Das ist extrem schwierig. Und dann kommt noch dazu, dass Du beim Film nicht chronologisch drehst. Ich hab mal 'nen Film gedreht, wo ich die ersten Drehtage die ganze Zeit meiner verstorbenen Freundin hinterher geheult hab. Die Person, die meine Freundin spielte sah ich aber erst am letzten Drehtag, denn da wurde die aller erste Szene gedreht! Also ich musste die ganze Zeit die Liebe zu einer Person spielen, die ich noch nie vorher gesehen hatte. Alle die traurigen Momente kamen vorher, bevor wir einmal diese Liebesszene hatten. Die letzte Szene kann als erstes kommen, da musste Dir überlegen, okay, in welchem Zustand ist meine Figur gerade jetzt? Die hat gerade das und das erfahren, weiß aber noch nicht das, man muss sich ziemlich viel zusammenbasteln, so ein bisschen Detektiv-Arbeit zu Hause, also man geht auf die Suche und denkt sich was ist da, was ist da,…
MS: Gibt es besondere Momente vom Set, die Dir in Erinnerung bleiben? Wie macht man das als Schauspieler, sich Monate lang in eine Situation hineinzuversetzen, und dann auch irgendwann loslassen? MG: Also ich hab erstmal gelernt—man lernt ja immer dazu, mit jedem Projekt, mit jedem Casting, das ist das Schöne am Beruf — das man nie auslernt, nicht nur über sich selbst, über seine Qualitäten, das Menschsein, das ist sehr schön. Speziell das Loslassen habe ich gelernt, dass immer wenn ich ein Casting hab, ich bereite mich darauf vor, dann mach ich das Casting, gehe raus und als erstes werfe ich den Text weg, ich will den nirgends mehr haben. Wenn ich die Rolle bekomme ist es okay, aber ich will mir keine bzw. nicht zu viele Gedanken nach dem Casting daran verschwenden. Beim Filmprojekt mach ich das auch so danach. Die sind zwar noch in irgendeinem Ordner gespeichert, aber ich will erstmal das Ganze wieder wegkriegen, weil das 'ne intensive Arbeit war und ich muss mich vom Alten lösen um was Neues zu beginnen. Besondere Momente: ich hatte jetzt gerade beim Dreh eine spannende Szene, wo mein Charakter gefesselt wurde, mit Handschellen und Eisenketten. Da wurde ich am Leben gehalten von einer Person, die mich eigentlich töten wollte, es aber nicht übers Herz bekam. Die Person betrat immer den Raum, hat es versucht und ich tat natürlich alles, damit sie mich frei lässt. Es war nicht leicht, sich in einen Menschen hineinzuversetzen, der schon zwei Wochen gefesselt da liegt, teilweise am Verhungern, Verdursten, am Ende seiner Kräfte, dem Tode entgegensehend. Und dann gab's da einen Moment zwischen den beiden, wo er versucht, auf sie einzureden, die Gute-Zuredner-Technik: »Sie sind doch kein böser Mensch! Lassen Sie mich doch frei, dann ist alles wieder gut!« Dann merkt er, das funktioniert nicht und versucht ihr ins Gewissen zu reden: »Wenn Sie mich töten, was passiert dann, sie werden die Bilder im Kopf nie wieder los! Das schaffen Sie alles nicht!« Dann wird er auch immer agressiver, er geht da durch verschiedene Stadien, von Todesangst, über letztes Gebet, bis hin zu Racheschwüren. Das war alles nicht leicht, denn es hat jetzt mit mir nicht viel zu tun, in so einer Situation war ich noch nie. Dinge, was ich gut kann, was mir liegt... es gibt so zwei Sachen, auf der einen Seite bin ich ein Mensch, der sowohl vor der Kamera als auch privat sehr pur sein kann, sehr klare Ansagen dadurch macht, die Dinge direkt aus dem Herzen heraus anspricht, ohne darüber groß nachzudenken. Das hilft mir auf der einen Seite sehr, es ist auch schön, so jemandem zuzusehen. Aber vor allem auch verletzte Charaktere spiele ich gern, Charaktere, denen es innerlich nicht gut geht, dramatische Situationen, mit denen sie nicht klar kommen. Ich habe auch schon viele Sachen durchgemacht, diese Charaktere verstehe ich dann gut und kann mich gut in sie hineinversetzen und nachvollziehen, warum sie wie reagieren.
MS: Das kann ich sehr gut nachvollziehen, wie Du am Theater auch wächst; deine Reflexion und der Transfer Deiner Charaktere auf Dich selbst erinnert mich an intensives Tagebuchschreiben. Wie gehst Du dabei vor? Noch am Set, oder hinterher? Wie ist der Prozess bei Dir während oder nach dem Schauspiel? MG: Ja, beim Schauspiel selber sind es so Sachen, die ich nie bewusst mache, diese Momente kommen einfach, wenn ich mit einer Figur arbeite und merke, in dieser Situation war ich auch schon einmal. Aber ich schaue nie darauf, ich versuche immer mein persönliches Leben von der Schauspielerei so gut es geht zu trennen. Ich bin nicht jemand, der in einer traurigen Szene einen traurigen Moment aus sich selbst holt. Es gibt Schauspieler, die das genau so machen, nach Parallelen suchen; mir geht es da ganz anders, jede Rolle ist ein eigener Mensch, ich leihe demjenigen nur meinen Körper, ich möchte meine Figur verstehen, wenn ich die Situation verstehe, dann mache ich es darüber, nicht über meine eigenen Erlebnisse.
MS: Das ist sicherlich sinnvoll, wenn nicht sogar ratsam, dieses Berufliche, was es für Dich letzten Endes ist, von Deinem Privaten zu trennen. MG: Ich möchte es trennen können. Natürlich nimmt man gewisse Dinge mit heim, aber ich möchte nach dem Set eigentlich auch abschalten können und erst morgens wieder auf die Bühne. Vor allem im Film ist eines schwieriger, denn im Theater probst Du über einen bestimmten Zeitraum, einen Monat lang, zusammen im Ensemble; während Du im Film auf einen bestimmten Zeitpunkt hin übst, da muss es dann dann sitzen — da bin ich so ein Perfektionist, ich sage mir dann, was ich alles in dieser Zeit schaffen möchte — da möchte ich nicht die Rolle einfach nur abspielen, sondern etwas aus der Rolle herausholen.
MS: Ich hörte einmal einen Professoren, einen Anthropologen, sagen, dass Multitasking eigentlich unmöglich ist. Dem stimme ich zu, aber hast Du nicht auch manchmal mehrere Projekte gleichzeitig laufen? MG: Hab ich jetzt. Zur Zeit sind es sogar drei. Das ist sehr schwierig! Hier in der Nähe von Köln drehen wir eine neue Web-Serie, »Wishlist«, das ist irrsinnig viel Arbeit, weil wir sechs Tage die Woche, teilweise zwölf Stunden, drehen. Das laugt aus. Wir haben immer einen Tag frei, und an manchen musste ich nach Wien fliegen, weil ich dort für die Krimi-Serie »Schnell Ermittelt« vor der Kamera stand. Das war der Wahnsinn. Teilweise war ich zwei Wochen durchgehend am Drehen, das hat mich ziemlich mitgenommen. Körperlich und seelisch. Gleich im Anschluss an dieses Projekt fahre ich nach München um dort »Der Alte« zu drehen. Diesmal war das überschneiden der Projekte sehr hart, da meine Figuren unterschiedlicher nicht sein könnten. Bei »Der Alte« spiele ich einen 18-jährigen Street-Dancer, das hab ich selber mal gemacht, deswegen wurde ich mit dieser Rolle besetzt, das ist so ein junger Kerl, der überhaupt nicht denkt, einfach nur handelt. Die Cops befragen ihn und wenn er nicht mehr weiter weiß, dann rennt er einfach weg. Dann gibt es die mittlere Rolle, die ich jetzt hier in Köln drehe, die liegt mir sehr Nahe, für »Wishlist«, das ist jemand, der sehr in sich gekehrt ist, sich eher zurück hält, aber im richtigen Moment die Dinge anspricht. Die Rolle in Wien war so ein richtig eiskalter Typ. Das war mehr oder weniger ein extrem kalter, berechnender, ekliger Killer, also das exakte Gegenteil des StreetDancers. Der in Wien erinnerte mich ein wenig an Kevin Spacey in »House of Cards«. Für das umschalten zwischen den Rollen, habe ich diesmal sehr körperkonzentriert gearbeitet. Ich hab dann für jede Figur die Gangart und das Tempo gesucht und festgelegt. Der eine bewegt sich, als würde der Raum ihm gehören. Wenige aber präzise Schritte, aufrechter Gang, so wie wenn man einen Anzug anzieht, und dieses aufrechte Gefühl hast. Der Street-Dancer hat kein wirkliches Zentrum, der ist mit den Gedanken immer in Bewegung und woanders und hat den Dance-Groove schon im Körper, bei allem, was er macht, der kann nicht ruhig bleiben und schwingt immer mit. Das ist alles nicht leicht, aber eine gute Übung; es macht Spaß.
MS: Das ist also in Deinem Alltag immer zu erwarten. Gibt es gewisse Eigenschaften, die Du für unverzichtbar für das Schauspiel erachtest? MG: Also zunächst einmal brauchst Du eine dicke Haut. Das Business an sich ist das Härteste an dem Ganzen, es kratzt permanent an Deiner Seele, Deinem inneren Leben, Du wirst immer wieder mit Dir selbst konfrontiert. Menschen, die das nicht aushalten und sowieso innerlich eher unstabil sind, werden das nicht lange überleben. Du fängst automatisch an, einiges persönlich zu nehmen, daran kann man zerbrechen. Oft wurde mir auch die Frage gestellt »Wann weiß man, dass man Talent hat? Wann rätst Du einem, sich zu bewerben? Und wann nicht?« Das ist so eine Frage, die ich schwer beantworten kann. Man muss es auf jeden Fall zu 100% wollen, so nebenbei funktioniert es nicht. Es gibt vielleicht ein, zwei Leute, aber wie bei Musikern oder Malern, wenn man wirklich erfolgreich sein möchte, dann muss man es von ganzem Herzen wollen und nicht aufgeben, wenn es nicht sofort klappt. Es gibt zwar auch viele, die nebenbei an einem kleinen Theater spielen, genauso wie Leute, die zu Hause malen, aber da kannst Du nicht erwarten, dass Du damit deinen Lebensunterhalt finanzierst, geschweige denn dich jemand entdeckt. Dafür gibt es einfach zu viele Schauspieler und zu wenig Angebote, und vor allem gibt es zu viele gute Konkurrenz. Entscheidend ist also ein guter Wille und Durchhaltevermögen. Mark Ruffalo war schon drei Mal für einen Oscar nominiert, in einem Interview hat er erwähnt, dass er bei 600 Castings abgelehnt wurde, bis er seine erste große Rolle spielen durfte. Davon musst Du auch ausgehen, dass Dir 600 Mal gesagt wird: »Nein, wir wollen nicht Dich, wir wollen einen anderen!«, da versuch erst einmal aufrecht zu stehen danach! Es ist wie als würdest Du als Kerl rumlaufen und 600 Frauen anmachen—oder 600 Männer, je nachdem was dich anzieht—und würdest 600 Mal hören: »Nein, ich will nicht Dich, ich will einen anderen!«, so kann man sich das vorstellen, mit so einer Abfuhr so oft fertig zu werden und dennoch weiter zu machen, ist nicht leicht!
MS: Wie unsere goldene Regel beim Tanzen: Man lehnt eine Aufforderung zum Tanz eigentlich eher nicht ab, denn schon nach der fünften Abfuhr stellt sich auch der Gastherr in die Ecke und heult. MG: Man muss halt was tun, weiter an sich arbeiten, das habe ich auch gelernt. Ich hatte mich etwas gehen lassen nach der Schauspielschule. Es lief danach ganz gut und ich bin etwas eingesackt. Dann habe ich gelernt, wieder an mir weiterzuarbeiten, ein paar Schauspielkurse zu machen. Neue Methoden, neue Wege kennenlernen. Das hilft einfach, auch wenn man nichts hat, mal andere Arbeit nebenbei machen, jede Erfahrung bringt einen weiter. Denn wenn man einfach nur zu Hause sitzt und über seine Absagen nachdenkt, wir es sehr gefährlich und man droht in eine Depression zu stürzen.
MS: Wow, das ist ein sehr ehrliches Interview! Ich erfahre gerade — nicht, dass ich der Meinung wäre, mir sei nichts mehr zu sagen, was ich nicht wüsste — so viele Dinge, die ich nie vermutet hätte. MS: Das freut mich. Aber das ist es, ja, die Leute, die jemanden im Fernsehen oder auf der Bühne sehen und denken, das ist doch so leicht, macht doch so Spaß, aber man realisiert gar nicht, was da alles dahinter steckt. Das sieht man erst, wenn man wirklich drin steckt in der Materie. Das gilt nicht nur für das Schauspielen, sondern für viele Berufe. Bei Extremsportlern; man denkt ja auch, Fußballer hätten es so schön, die spielen ja zum Spaß. Nein! Die investieren stundenlanges Training tagtäglich, um so dazustehen. Wie gesagt, es gibt viele Vorurteile. Vor der Kamera oder auf der Bühne ist das Nichtgesehene die Vorarbeit, bis die Figur natürlich rüberkommt und glaubhaft wird. Aber es ist niemandem klar, dass sie am Anfang gar nicht funktioniert. Das fiel mir bei diesem Break-Dance-Typ so schwer, anfangs, da reinzukommen — auch wenn es im Nachhinein easy klingt! Diesen Text hab ja nicht ich geschrieben und jetzt soll ich das so spielen, dass die Worte klingen, als wären es meine eigenen…
MS: Noch eine Frage aus dem Protokoll: was sind die Unterschiede zwischen Serie und Film? MG: Vom Drehprinzip her ist da gar nicht so viel Unterschied. Aber Soaps zum Beispiel werden ja immer im Studio gedreht mit drei Kameras, da drehen die an zwei drei Tagen eine Folge; das geht so schnell! Das ist alles gestaged, da gibts nicht viele Ortswechsel, alles ist im gleichen Studio. GZSZ, Sturm der Liebe oder so, die machen alles in ihrem Studio, dadurch können die extrem schnell und am Stück drehen. Ist natürlich hart, wenn man dann soviel Text lernen muss. Ich war bisher zwei, drei Tage bei einer Soap dabei, nur als Gast, aber persönlich würde ich da derzeit nicht hingehen wollen, denn ich bin nicht der Soap-Typ. Vielleicht ändert sich das, aber unter den richtigen Umständen, wer, wie? Die Webserie Wishlist, die wir jetzt drehen, ist wie ein Film, man merkt da überhaupt keinen Unterschied. Natürlich hast Du ein Drehbuch und abgeschlossene Kapitel, könnte aber auch wie bei Pulp Fiction von Terentino ein abgeschlossenes Kapitel sein. Das macht vom Dreh und für mich als Schauspieler keinen großen Unterschied. Das wirklich Schöne an einer Serie ist, dass du mehr Screentime hast und dein Charakter somit einfach mehr Momente hat als in einem Kinofilm. Hier in der Serie habe ich eine Hauptrolle, das ist dann schön, insgesamt 150 Minuten Film unterteilt in die einzelnen Episoden. Da sieht man viele Facetten dieses Menschen. Beim Film zum Beispiel kann es sein, dass man immer wieder für nur eine Szene, für wenige Minuten, anreist. Bei der Serie wächst man mit dem Team, der Crew zusammen, bei mir jetzt schon seit einem Monat, das macht es schön. Beim Film benötigst du dafür eine Hauptrolle und davon gibt es meisten nur 1-2. Wenn Du nur eine Nebenrolle spielst, bist Du nicht so oft am Set. Dann merkst Du, dass sich alle anderen total gut kennen und untereinander verstehen; die harmonieren ganz anders untereinander wie Du. Dennoch wissen die meisten wer du bist, zumindest wurde ich noch nicht vergessen.
MS: Wie bereitest Du Dich auf ein Casting vor? MG: Casting muss in den meisten Fällen extrem schnell gehen, teilweise bekomme ich Angebote rein, wo es heißt übermorgen hingehen. eCasting wird auch immer populärer. Das heißt, ich bekomme ein Skript, worum es in dem Projekt geht, mit der Bitte, ein Video in den nächsten Tagen, einzusenden. Das ist hart, weil das erstens zeitlich so knapp ist, zweitens habe ich niemanden, der mich filmt, oder jemanden, den ich anspielen kann. Es ist oft nur eine Szene und dann fragt man sich, wie das einzuordnen ist, da du aufgrund des noch nicht vorhandenen Drehbuches, die Zusammenhänge nicht kennst. Selten kann ich einen Freund dazu überreden, mir zu helfen, aber das sind dann keine Schauspieler und die lesen dann eben den Gegenpart und filmen mich mit meinem iPhone. Wenn ich niemanden zur Hand habe, dann eben alleine. Die Zeilen des Gegenpartes einfach weglassen, die Reaktionen trotzdem spielen. Man darf halt nicht vergessen, dass es bei einem eCasting ja nicht sofort um die Rolle geht, sondern um einen ersten Eindruck. Wenn sie Dich gut finden, laden sie Dich nochmals zu einem echten Casting ein. Dennoch ist es schwer, in dieser kurzen Zeit, auf Handyqualität, ohne Partner, mich von meiner besten Seite zu zeigen. Ich glaube ich bin ein Mensch, und da geht es bestimmt vielen so, der persönlich besser überzeugen kann, als via Smartphone. Aber die Produktionen müssen ja Geld sparen, daher läuft das dann oft so. Meist sind die Castings an sich eher unangenehme Situationen, bei uns in Deutschland und in Österreich gibt es ja selten offene Castings, im Gegensatz zu den Staaten. Dort werden dann innerhalb weniger Tage Tausende Leute durchgeschleust, teilweise sogar ohne zu spielen, ausselektiert nach dem Äußeren. Wenn Du bei uns eingeladen wirst, sind das zehn bis zwanzig Leute in etwa und dann lernst Du oft die Leute kennen, die mit Dir für diese Rolle gecastet werden. Das ist oft eine unangenehme Situation. Ich bin nicht jemand, der es den anderen nicht gönnt, aber dennoch will ja jeder die Rolle haben. Es ist schwer, nicht anzufangen, über die anderen nachzudenken, ob sich die vielleicht mehr oder besser vorbereitet haben oder der bessere Typ für die Rolle wäre. Es ist leichter in ein Casting zu gehen und nichts von den anderen mitzubekommen. Das Beste in so einem Fall, ist es sich nicht irritieren zu lassen, sich auf sich zu konzentrieren und nach dem Casting das Skript wegwerfen. Thema abhacken, man hat sein Bestes gegeben, die Entscheidung liegt jetzt bei denen.
MS: Eine vielleicht etwas alberne Frage: gibt es auch Rollen, wo Du von vornherein sagst: »Nein!«? MG: Selbstverständlich! Erstmal beobachte ich das Format und wo das Projekt ausgestrahlt wird. Scripted Reality auf Sat 1 zum Beispiel würde ich nicht drehen. Projekte, die politische Themen ansprechen, sind auch oft schwierig anzunehmen, das muss man nämlich gut verpacken und beim Spielen aufpassen, nicht in eine Schublade gesteckt zu werden. Dann spielt die Bezahlung natürlich auch eine Rolle. Ich bekomme oft Anfragen für Kurzfilme oder Low-Budget-Produktionen, auch die Serie, in der ich derzeit spiele, ist Low-Budget, was ja vollkommen legitim ist, nicht jeder kann das Geld auf seiner Seite haben. Nur Low Budget geht natürlich auch nicht, denn ich muss mir auch den Lebensunterhalt verdienen und meine Miete zahlen. Ich musste jetzt auch für diese Serie, wo ich fast nichts daran verdiene, mir Tage sperren und dann auch anderen Angeboten, wo ich Geld verdienen würde, absagen. Low-Budget mache ich grundsätzlich nur dann, wenn es mir wirklich gut gefällt, deswegen bin ich auch bei Wishlist dabei, denn die Idee und meine Figur sind sehr packend. Aber zurück zu Projekten die ich ablehne, ein zwei Projekte habe ich reinbekommen und mir nur gedacht: »Nein, das gefällt mir absolut gar nicht!« Die Rolle ist so nichts sagend, wenn es zum Beispiel starkes Klischee ist, finde ich es ganz schlimm! Da war mal eine Rolle, die schien wie aus einem Emanzipationsfilm, ein Mädchen, das von ihrem Freund geschlagen wird und dieser Freund ist halt ein Wichser zu allen. Am Ende haut sie ab. Das Thema ist ja okay, aber da war für mich nichts dahinter. Ich habe ja nichts dagegen einen aggressiven Typ zu spielen, aber er war so uninteressant und auch nicht nachvollziehbar. Aus dem nichts heraus wurde er wütend, aus dem nichts heraus hat er sie geprügelt. Diese Figur existierte nur, damit man ihn hasst und auch der kleine dumme Zuschauer versteht: bitte schlagt keine Frauen. Ich bin gegen Gewalt jeglicher Art aber diese Figur war in ihren Dialogen und ihrer Handlung fad und sowas reizt mich dann nicht. Ich liebe Filme die mehrere Facetten einer Figur und deren Standpunkt zeigen und dem Zuseher auch die Möglichkeit geben zu entscheiden, wofür bin ich. Auch zu beobachten, warum jemand agiert wie er agiert, gutes Beispiel American History X.
MS: Erinnert mich ein wenig an Zerbombt von Sarah Kane. MG: Ich kenne Sarah Kane, aber das Stück nicht.
MS: Das ist In-Your-Face-Theatre. Ich hab die Aufführung 2014 in Stuttgart gesehen. Nach dem dritten Akt war das halbe Publikum weg. MG: Die schreibt ja nur solche Sachen. Ja, damit muss man umgehen können. Würde mich persönlich aber reizen mal ein Stück von ihr zu spielen, allein der Erfahrung wegen. Wenn es eine riesige Produktion ist, würde ich vielleicht auch Rollen spielen, die ich nicht zu 100% vertreten würde, letzten Endes ist es nur eine Rolle. Aber ich will auch etwas lernen. Wenn das gar nicht absehbar ist, dann interessiert mich das nicht. Auch wenn das Schauspielen mein Beruf ist, soll es mir ja weiterhin Spaß machen. Ich habe auch letztens ein Buch gelesen, da ging es um unzählige Arten der Liebe und dass Liebe nicht nur zwischen zwei Menschen besteht und entsteht. Das ist ein Missverständnis unserer Gesellschaft, zu denken die eine Liebe wäre das Wichtigste und Einzige. Man kann für Diverses eine Liebe entwickeln, zum Beispiel für Freunde, einen Beruf, einen Sport. Liebe ist universell. Man muss nur für sich herausfinden was man liebt und gerne macht.
MS: Das erinnert mich an Karl Lagerfeld: »I like to be creative all the time. If I’m not I’d be bored, and boredom is a crime.« MG: Das so ein Satz von Lagerfeld stammt, hätte ich nicht gedacht! Ja, das ist wichtig. Das kann natürlich ein bestimmter Mensch sein, diese Leidenschaft, aber die Gefahr besteht dann sich abhängig von demjenigen zu machen. Also selbst wenn man einen Menschen hat, den man liebt, sollte man dennoch lernen andere Dinge zu lieben, damit man im Falle des Scheiterns nicht komplett alleine dasteht. Ein bisschen abgeschweift vom Thema, aber so ist es halt. MS: Dieser Dialog hat mir großen Spaß bereitet! Danke Dir!
Wenn ihr mehr über den sympatischen Schauspieler Michael Glantschnig erfahren möchtet, schaut auf seiner Webseite www.michaelglantschnig.com vorbei!